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Radkultur: Trittfrequenz und Reime-Rhythmik

Literatur ist wie Radfahren und umgekehrt. Sagt Friedhelm Rathjen in seinem neuen Buch.
Literatur ist wie Radfahren und umgekehrt. Sagt Friedhelm Rathjen in seinem neuen Buch.

Radfahren hat viel mit Kultur zu tun. Das meint nicht, sich „kultiviert“ zu verhalten und im Straßenverkehr nicht wie der sogenannte „Kampfradler“ aufzutreten, den die Medien regelmäßig jedes Frühjahr, also bald wieder, heraufbeschwören. Die Schnittmenge von Kultur und Fahrradfahren ist breiter. Zum einen ist da natürlich das Reisen, das mit dem Fahrrad vielleicht am intensivsten ist. Und überhaupt: Das Erleben von Neuem funktioniert mit den Fahrrad besonders gut, für viele ist das Velo auch eine Art Lebensstil – Radfahren „an sich“, als Lebenseinstellung.

Friedhelm Rathjen, Schriftsteller und Übersetzer in Nordfriesland, meint sogar: „Das Fahrrad ist so etwas wie der letzte Keim von Glück.“ Er muss es wissen. Angefangen hat es bei ihm schon vor 40 Jahren, mit seiner ersten großen Fahrradtour in Irland: Einmal rund um die Insel. Die Beschäftigung mit Autoren wie James Joyce und Samuel Beckett sowie dem Radfahren in der Literatur prägten von da ab sein Berufsleben. Wie in einem Beitrag des Deutschlandfunk geschildert, fährt er heute noch in seiner Heimat jeden Tag den Deich und die stürmischen Wege am Meer entlang. Nur wenn es mal Windstärke neun hat, lässt er das bleiben. Sein tägliches Mindestpensum: Eine Stunde – gut 20 Kilometer. „Wenn ich ein Übersetzungsproblem habe, das ich unterwegs lösen will, kommen im Sommer auch schon mal 90 Kilometer zusammen“, sagt er bei gemeinsamer Radtour mit der Journalistin Nadja Bascheck.

In seinem neuen Buch “Beinarbeit, Kopfarbeit“ beschreibt er unter anderem, was Fahrradfahren mit Gedichten zu tun hat. Seine Erkenntnis: Man muss seinen Rhythmus finden – beim Radfahren wie beim Lesen und schreiben. Wenn er eimal nicht weiter weiß, lässt er beim Radeln die Gedanken schweifen. Das hilft. Immer. Außerdem spürt er in „Beinarbeit, Kopfarbeit“ einigen Stellen der Weltliteratur nach, die sich ums Radfahren drehen. Beim Nihilisten Beckett erkennt er im Fahrrad gar eine „Unendlichkeitsmaschine“ – unter anderem, weil seine Form einer liegenden Acht ähnelt, dem mathematischen Zeichen für Unendlichkeit.

Praxinäher finden wir da die Erkenntnis, dass es bei der Literatur wie beim Radfahren „um die Überwindung eines Widerstands“ geht – nicht passiv zu sein, sondern ins Geschehen mit einbezogen. Kultur ist eben auch immer: Aktives Teilnehmen. 

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